Fluchtgeschichten zwischen den Jahren: Blogger schreiben für Flüchtlinge

Gedanken zwischen den Jahren. Herzensgrüße an euch. Und eine Buchvorstellung von: "Willkommen! Blogger schreiben für Flüchtlinge"

Ihr Lieben, ich will euch gar nicht langatmig mit meiner persönlichen Fluchtgeschichte langweilen. (Übrigens, nur um mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen: Nein, ich bin tatsächlich gebürtige Deutsche und Muttersprachlerin. Die Flucht meiner Familie war innerdeutsch, auch wenn sie 1986 über das Ausland ging. Und bei den furchterregenden Bildern unserer Zeit hatten wir wohl das „Glück“, damals noch in den regulären Auffanglagern wie Gießen oder Unna-Massen zu landen. Unna-Massen..Unna-Massenunnamassen… dieses seltsame Wort klingelt noch heute durch meine Kindheitsgedanken.)

Ich nutze die Zeit zwischen den Jahren, um euch ein gutes Hinübertreten ins neue Jahr zu wünschen. Ich hoffe wir alle hatten eine schöne und entspannte Advents- und Weihnachtszeit. Mit Baum, Essen, umgeben von Familie und Freunden. Oder auch ganz allein – wenn ihr denn daran Spaß habt. Ein Großteil von uns kullert gerade herrlich vollgefressen (ich meine das wirklich positiv, jeder braucht ab zu und eine fette Prise Hedonismus und Bacchus) durch die Wohnung und freut sich über die gedankenvollen Geschenke lieber Menschen. Oder denkt über das Silvesteressen nach (bei mir ist das zumindest der Fall). Vielleicht plant ihr auch eine große Party. Oder tut sonst irgendetwas. Aber was wir alle zum Großteil gemeinsam haben: Wir tun dies in Sicherheit.

Sicherheit. Ein Luxus, den Flüchtlinge nicht haben. Auch während unserer geheiligten Weihnachtszeit und zu Silvester sind sie mit Kindern, Babys, schwangeren Frauen, Kranken und Alten unterwegs – während Rechte wie in einer Fleisch gewordenen Realsatire ergriffen vom Christuskind singen.
Und auch wenn ich natürlich über den warmen Dezember lächelnd lästere – ich bin dem milden Winter so unglaublich dankbar für eben genau das – seine Milde. Seine Barmherzigkeit. Seine Warmherzigkeit. Wärmer also so manches Herz in #Kaltland. Ich möchte keine erfrorenen Kinder auf unseren Straßen sehen. Wir hatten das schon mal, aber ich weiß, viele wollen sich nicht an die deutschen Todesflüchtlingstreks vor gerade mal 70 Jahren erinnern.

Jetzt ist es doch ein längerer Text geworden – verzeiht. Dabei wollte ich doch nur ganz rasch zu einer weiteren Buchvorstellung einleiten, die ich für den Printbereich geschrieben habe und mit euch auch hier teilen will. In diesem Sinne: Kommt gut und sicheren Fußes ins neue Jahr. Seid geschützt auf all euren Wegen. Wir lesen uns.

Shermin

Rezension E-Book: Blogger schreiben für Flüchtlinge

Von der Menschlichkeit: Willkommen! Blogger schreiben für Flüchtlinge

Im Herbst 2015 entwickelte sich die Idee unter dem Hashtag #BloggerfuerFluechtlinge in Form von Crowdfunding Geld für Flüchtlinge zu sammeln und auf die Situation der hier strandenden Menschen aufmerksam zu machen. Die Reaktion der deutschsprachigen Blogger/innen war überwältigend und schnell kamen Beiträge und mehr als das ursprünglich anvisierte Spendenziel von 5000 Euro zusammen. Inzwischen wurden über 130.000 Euro zusammengetragen, mit denen bisher sehr viele praktische Hilfsprojekte für Geflüchtete in Deutschland finanziert wurden (genau einsehbar auf der – leider anscheinend gerade etwas brach liegenden – Webseite). Das Anfang Dezember 2015 erschienene E-Book ist eine Sammlung von über 50 Texten, die jede auf ihre ganz eigene Art „Willkommen!“ sagen und das Thema „Flucht“ reflektieren.
Es sind unterschiedliche und sehr berührende Geschichten aus den verschiedensten Perspektiven. Mal erzählen sie frustriert von der unglaublichen Hilflosigkeit von Helfer/innen – alles ist organisiert, nur der Staat stellt sich plötzlich quer und lässt die Menschlichkeit auf der Strecke. Andere sind distanziertere Reportagen über Dörfler und ihren Umgang mit Flüchtlingen, lebensnahe, persönliche Berichte über privat aufgenommene Flüchtlinge oder den Horror, den das Berliner LaGeSo für Menschen bereithält, während andere wiederum ihre persönliche Familien- und Fluchtgeschichte mit Flüchtlingstrecks aus Pommern, Schlesien nach `45 aufarbeiten, Undercover vom Albtraum im größten Flüchtlingscamp Europas in Kalabrien berichten oder sich mit dem alltäglich wiedergekäuten Rassismus beschäftigen. Wer viel im Internet unterwegs ist und sich für dieses Thema beschäftigt, wird einige davon sicherlich schon kennen. So weit möglich, wurden die Texte chronologisch nach ihrem Erscheinungsdatum geordnet.

Fazit: Eine beindruckende und durchaus auch bedrückende Sammlung. Wie schon öfter in den vergangenen Monaten haben wir auch hier wieder ein wunderbares Projekt, das durch ehrenamtliche Arbeit und viel persönliches Engagement finanzielle Mittel auf die Beine stellt, um zu helfen. Alle Autor/innen haben ihre Texte kostenlos zur Verfügung gestellt und das Herausgeberteam und die Verlegerin arbeiteten ehrenamtlich an dem E-Book. Der gesamte Erlös des Buches geht in die Kasse der Flüchtlingshilfe „Blogger für Flüchtlinge“.
Dem Herausgeberteam ist es – gerade im Angesicht der Terroranschläge der letzten Monate – ein Anliegen, dass Hass und Angst nicht die Herzen regieren und sich gerade an den Menschen niederschlägt, die vor diesem Terror mit Kindern, Säuglingen und Alten auf die beschwerlichste Art flüchten.
Zu gerne vergessen wir hier im „sicheren“ Deutschland, dass wir eine überaus kostbare, seltene – und hoffentlich noch sehr lang anhaltende – Periode des Friedens und der Stabilität genießen. Gerade mal 70 Jahre, nicht ganz ein Menschenleben, ist es her, dass wir selbst millionenfach Flüchtende im eigenen Land waren. Genau so voller Angst, Leid und Beschwerlichkeit geflohen wie die Menschen heute. Jeglichen Besitz, Altbekanntes, Ahnenstätten, Geliebtes und geliebte Menschen zurücklassend – meist nur mit dem nackten Leben und dem Hemd am Leib.
Allein Bayern (Ey, ich mein.. Bayern!!) nahm damals 2 Millionen Flüchtlinge auf. Der Empfang und die kaltherzigen Sprüche waren – bei den eigenen Landsleuten – die gleichen, wie manche sie heute aus Fremdenangst den Neuen entgegenschleudern. Die Erinnerung, oft auch an die eigene Familiengeschichte, täte da Not.

Herausgegeben von Katharina Gerhardt, Caterina Kirsten, Ariane Novel, Nikola Richter, Frank O. Rudkoffsky, Eva Siegmund
Willkommen! Blogger schreiben für Flüchtlinge*
mikrotext, 2015
E-Book, 289 Seiten, 3,99 Euro

*Afiliate-Link zu Amazon

Written By
More from Shermin
[Werbung] Mein 1. Kochbuch ist jetzt im Print bestellbar!
Whoop! Mein erstes Kochbuch ist jetzt als Printbuch im Handel! Yay!
Read More

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert