Lagerküche: Hais – Energy Balls aus dem Mittelalter

Experimentelle Küchenarchäologie: Adaptiertes Rezept für Dattelröllchen nach einem Kochbuch aus dem Baghdad des 13. Jahrhunderts.

Die letzten anderthalb Wochen habe ich mit Mann und Baby in einem Reiselager des 13. Jahrhundert anlässlich des ersten Hochmittelaltertreffens im Kloster Jerichow – das ich auch mitorganisiere – zugebracht.  Ich habe mir damit endlich meine schon seit 20 Jahren bestehende Sehnsucht nach authentischem Mittelalter-Reenactment erfüllt, aber natürlich fand ich größenwahnsinnigerweise Berlin im 13. Jahrhundert nicht spannend genug und habe mich für die allererste Gewandung auf eine Gewürzhändlerin aus Byzanz versteift, die es auf Umwegen herverschlagen hat. (Was so abwegig gar nicht ist – wie mir ein Lokalhistoriker erklärte, gab es zum Beispiel zwischen dem Kloster Jerichow und Byzanz mehrere Reisen zu Zeiten Barbarossas zwecks Eheverhandlungen.)

Hais: Arabische Süßigkeit nach einem Rezept aus einem Kochbuch des Mittelalters

Die Quellenlage für Frauenfiguren aus der nichtadeligen Schicht ist allerdings relativ bescheiden. Weshalb ich die letzten anderthalb Jahre auch mehr mit der Nase in diversen Bücherstapeln verbracht habe, als mit der Nähnadel in der Hand. Wer mir auf Instagram folgt, wird meine hektischen Kampfnähattacken kurz vor dem Treffen und ein paar Fotos aus dem Lager sicherlich schon gesichtet haben. Auf meinem Handarbeitsblog Fiberspace werde ich im Laufe der nächsten Wochen auch sicherlich noch ausführlicher was zu meiner Klamotte schreiben. An dieser Stelle nochmal einen großen Dank an die Handmaid für ihre Nähdienste beim Liebsten und ihre Hilfe bei mir.

Hais: Arabische Süßigkeit nach einem Rezept aus einem Kochbuch des Mittelalters

Arabische Süßigkeiten

Aber zurück zum Kochen: Natürlich wurde auch auf offenem Feuer in Feuergruben gekocht und mit authentischem Kochgeschirr, das dem aus dem 13. Jahrhundert nachempfunden ist. Und ebenso natürlich konnte ich meine Fingerchen natürlich nicht still halten und habe selbst bei einigen Gerichten Hand angelegt. Zuletzt hatte ich bei einem Lager vor 14 Jahren auf offenem Feuer gekocht und dann jetzt direkt in solchen Mengen mit ungetesteten Rezepten – es war also schon ein wenig aufregend für mich und ich war anfangs etwas unsicher. (Der Liebste erklärte mir gestern, dass mein Fluchpegel an den Tagen doch ein wenig.. erhöht war. Ähem… 😉 ) Und mit den mittelalterlichen Energy Kababs dann auch noch ein noch nicht getestetes und von mir modifiziertes Rezept – auch wenn hier die Zutaten nur gehackt und nicht gekocht werden müssen. Immerhin habe ich schon oft meine modernen Energiebällchen gemacht und es mir deswegen mit Nachbesserungen on the fly zugetraut.

Reenactment: byzantinische Gewürzhändlerin_sOrientalische Süßigkeit: Zubereitung von Dattelröllchen_s

Das Kitâb al Tabîkh: Reiseproviant aus dem Mittelalter

Da meine Gewürzhändlerin aus Byzanz kommt, wo diverse Warenströme und Kulturen zusammenflossen, konnte ich zu der geliebten Neuübersetzung des Kitâb al Tabîkh (Book of Dishes/Das Buch der Gerichte)* greifen. Ich hatte bei dem Rezept für Rishta bi Adds (die übrigens auch – mit kleiner Variation, die demnächst im Rezept ergänzt wird – von mir die Lagerfeuertauglichkeit bescheinigt bekommen) schon ausführlich etwas zu diesem aus Baghdad stammenden Kochbuch aus der Feder von Muḥammad bin al-Ḥasan bin Muḥammad bin al-Karīm al-Baghdadi geschrieben. Und ich bin immer wieder überrascht, wie aktuell und gut die fast 800 Jahre alten Rezepte sind und wie sie sich auch heute noch in der arabischen Küche wiederfinden. (Kann man ja von mittelalterlichen deutschen Rezepten jetzt nicht so wirklich behaupten. Und nein, Schwein am Spieß zählt hierbei nicht.) Ihr werdet jedenfalls in den nächsten Jahren sicherlich noch einiges aus meinem kleinen Lieblingskochbuch zu lesen bekommen.

Auf Wunsch eines einzelnen Schmieds folgt jetzt ein Pi-mal-Daumen-Rezept, das meine moderne Umsetzung des arabischen Rezeptes aus dem 13. Jahrhunderts ist. Al-Baghdadi weist in seinem Rezepttext sogar darauf hin, dass diese Süßigkeit besonders gut für Reisende ist – sehr passend also für unser Reiselager. Da ich vor Ort keine Waage hatte, kann ich die Mengen nur ungefähr wiedergeben. Geschmacklich waren diese Energy Balls übrigens wirklich total lecker, weswegen ich auch von Rezeptgierigen  zu diesem Blogeintrag genötigt wurde. Mengenmäßig: Es wird viel. Wir haben mit vielen ein paar Tage davon genascht. Aber so ist es ja auch gedacht. 😉

Infos & Unterschiede zum Originalrezept aus dem Kitab Al-Tabikh

  • Das Originalrezept verlangt nach getrocknetem, zerriebenen Brot von exzellenter Qualität oder Keksen. Normales Semmelmehl passte für mich nicht, deswegen habe ich zu japanischem Panko gegriffen (das Brotzeug, das außen am frittierten Sushi klebt ;)), was erstaunlich gut funktioniert hat. Das Brot war überhaupt eine sehr nette Ergänzung, da ich zur besseren Formbarkeit Öl und kein Wasser hinzu gab, war es auch noch nach Tagen knusprig.

 

  • Al-Baghdadi verlangt nach gemahlenen Mandeln und Pistazien, ich habe Haselnüsse gewählt.

 

  • Im Original wird Sesamöl verwendet, das durch Braten von Gewürzen aromatisiert wird. Da gerade Zimt sowas nicht so gerne mag, habe ich die Gewürze direkt hinzugegeben und geschmacksneutrales Sonnenblumenöl verwendet. Als weitere Alternative wird geklärte Butter genannt, was die Hais wahrscheinlich besser formbar machen würde. Allerdings sehe ich dann aber das Problem, dass Butter bei Wärme und ungekühlter Lagerung eventuell leicht ranzig werden kann. Als moderne Variante ginge evtl. geschmacksneutrales Kokosöl?

 

  • Da ich nicht genug Datteln hatte, habe ich zusätzlich softe getrocknete Pflaumen genutzt.

 

  • Im Originalrezept werden die Kababs anschließend in Puderzucker gewälzt. Davon habe ich abgesehen, da ich vermute, dass der Zucker Feuchtigkeit zieht, zumindest wenn die Datteln eingeweicht wurden.
    Note to myself: Nicht nur vermuten, austesten!

 

  • Charles Perry übersetzt „Kabab“ (das beschreibt die Form) so, dass man Bällchen formen soll. Das geht a) wegen der Konsistenz schlecht. Das Rollen funktioniert in der Öl-Variante und mit rehydrierten Datteln nicht gut bis gar nicht, das Zusammenpressen zu  länglichen Gebilden im Handteller hingegen schon. b) Kababs kenne ich (aus dem herzhaften Bereich) immer als länglichere Gebilde. Vielleicht kennen einige von das Wort ja zum Beispiel vom Schisch Kebap. Also im Grunde mehr Energy Röllchen als Balls.
    Edit: Neuerliches Nachgraben zeigt mir, dass Kabab/Kabob sich vom Wortstamm her auf die Zubereitungart (gegrillt) zu beziehen scheint. Also macht Kugeln oder längliche Dinge – wie es halt für euch funktioniert.

 

  • „Hais“ bedeutet aus dem Arabischen übersetzt so viel wie „Mischung“ – schon sehr treffend. 😉

 

Rezept für Hais: Arabische Süßigkeit nach einem Rezept aus einem Kochbuch des Mittelalters

Reiseproviant aus dem Mittelalter
Rezept für „Hais“ – Energy Balls/Dattelröllchen

300 g – 400 g Datteln
500 g softe Trockenpflaumen
400 g gemahlene Haselnüsse
100-150 g Panko*
Sonnenblumenöl
1-2 TL frisch und fein gestampfter Kardamom
2 TL Ceylon-Zimt*
100-200 g gemahlene Haselnüsse zum darin wälzen

Zubereitung

  • Falls die Datteln zu trocken sind: Datteln in eine Schale geben, mit heißem Wasser überbrühen und mindestens 15 Minuten ziehen lassen, damit sie wieder softer und nicht zu faserig sind. (Al-Baghdadi empfiehlt frische Datteln oder eben mazerierte getrocknete)
  • Die Datteln entkernen, fein hacken und in eine große Schüssel geben.
  • Ebenso mit den Pflaumen verfahren.
  • Haselnussmehl, fein gemahlene oder gestampfte Gewürze und das Panko hinzugeben. Mit den Händen alles gut miteinander verkneten. Abschmecken.
  • Sehr wahrscheinlich (das hängt eben auch von den von euch verwendeten Trockenfrüchten, Nüssen und dem Panko ab) wird die Masse jetzt noch etwas zu bröselig sein, um sie mit den Händen zu Kugeln oder kleinen Würstchen (Kababs) zu formen. Gebt 2-3 EL Öl hinzu, arbeitet es ein, macht eine Probe und ergänzt dann falls nötig weiter mit Sonnenblumenöl.
  • Die Masse aus Trockenfrüchten und Nüssen in der Hand zu länglichen kleinen Gebilden (Kabab) pressen, bei mir sahen sie am Ende wie größere Datteln aus. Abschließend in Haselnussmehl wälzen, damit sie später nicht aneinander kleben.
  • In einer Dose trocken und kühl lagern.

Tipp: Wer die Mengen nicht im Mittelalterstyle bezwingen will und eine moderne Küche greifbar hat, kann natürlich die Trockenfrüchte einfach in einem Foodprocessor zerkleinern. Und da wir uns im Lager mit einem Holzmörser abquälten: Zuhause mörsere ich mir nicht (mehr) stundenlang nen lahmen Arm mit so nem Teil, sondern werfe die Saaten und Gewürze einfach schnell in meine geliebte elektrische Kaffeemühle*.

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2 Comments

  • Meine Güte, die sind ja lecker. Wollte sie eigentlich erst am Samstag machen, konnte mich aber nicht zurück halten. Ich habe das halbe Rezept gemacht. Anstatt Pflaumen Aprikosen, anstatt Haselnüsse Mandeln und ich habe eine Prise Nelken dazu gegeben. Ach, weil wir kein Sesamöl haben, habe ich Sesam Samen mit den Mandeln gemischt. Was für ein tolles Rezept. Danke sehr! 🙋‍♀️🐝

  • @Bee – Freut mich total, dass sie so gut bei dir ankommen. Aprikosen sind eine super Idee, schrieb ich ja schon auf Twitter. Und Nelke ist zudem auch ein authentisches Gewürz für die Zeit aus der das Rezept stammt! 🙂

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