Experimentelle Archäologie, noch nie genutzte Zutaten, ein Gericht mit nur einem Gewürz und einer Prise Zeitdruck – was kann da schon schief gehen? 😅
Das Ergebnis war ein überraschend köstlicher, dicker Fleischeintopf mit selbstgemachten Nudeln – genau das richtige für einen grauen Februartag.
Ich widme mich derzeit wieder vermehrt dem Nachbau historischer Rezepte, besonders haben es mir da ja arabische Kochbücher angetan. (Mehr dazu auf meinem Insta-Account „Theophanu’s Cauldron„, auf dem dazugehörigen Foodblog gibt es die Texte dann auf Englisch.) Denn weit bevor Europäer*innen einen Federkiel in die Hand nahmen, um ihre Rezepte festzuhalten, gab es hier eine große Kochbuchtradition, die besonders an den Höfen gepflegt wurde (Lies: Sultan und seine Cronies sammelten Kochbücher und haben da auch Rezeptevents abgehalten). Kochen war also „in“ und die arabischen Länder waren die Influencer ihrer Zeit. Gerichte, Geschirr und Gewürze inspirierten zum Beispiel eben auch sehr stark die mittelalterliche deutsche Kochkunst. Und so ist es kein Wunder, dass es Schriften, wie das „Scents and Flavors„* gibt, das punktgenau alles rund um Festmähler abhandelt – bis hin zu duftigen Mittelchen, damit sich die Gäste auch wohlfühlen.
Rishta/Rashta – dicker Eintopf mit Nudeln und Hülsenfrüchten
Heute liegt mein Augenmerk aber auf einem Kochbuch des 13. Jahrhunderts, das aus Baghdad stammt und hier im Foodblog auch schon öfter Erwähnung fand: A Baghdad Cookery Book* (Kitab al-Ṭabīkh – das Buch der Gerichte) im Jahr 1226 verfasst von einem Schreiber namens Muḥammad bin al-Ḥasan bin Muḥammad bin al-Karīm al-Baghdadi – kurz Al-Baghdadi genannt – und in der Übersetzung von Charles Perry. (Es gibt eine erste englische Übersetzung von 1939 von A. J. Arberry, die zu ihrer Zeit bahnbrechend war, aber stellenweise Fehlübersetzungen enthält. Dennoch eine spannende Lektüre, gerade im Vergleich zu Perrys Version. Die Übersetzung ist in dem Sammelband „Arab Medieval Cookery„* enthalten.)
Al-Baghdadi berichtet im Vorwort, dass seine Leidenschaft eben gutes Essen ist, laut ihm hat er die Rezepte nach seinen persönlichen Vorlieben zusammengestellt. Die Gerichte sind ein wenig frugaler als in „Scents and Flavors“, aber die enge Verwandtschaft ist deutlich erkennbar. Viele Gerichte leben, in etwas veränderten Fassungen, auch noch heute in der pan-arabischen Küche weiter. Wie auch das Gericht Rishta bi Adds, einen dicken Linsen-Nudel-Eintopf den ich vor einigen Jahren hier auch schon als vegetarisches Rezept vorgestellt habe. Jetzt halt in der Baghdad-Originalversion mit Fleisch.
Meine Übersetzung: „Rāshtā. Die Art und Weise es zuzubereiten besteht darin, fettes Fleisch in mittelgroße Stücke zu schneiden und in den Topf zu geben. Gib so viel Wasser dazu, dass alles bedeckt ist, sowie eine Zimtstange, etwas Salz, eine Handvoll geschälte Kichererbsen und halb so viele Linsen. Koch es, bis es fertig ist.
Dann füge mehr Wasser hinzu und bring alles stark zum Kochen. Wirf jetzt die Rāshtā hinein, welche aus einem stark gekneteten und dünn ausgerollten Teig bestehen, der dann in feine Streifen von vier Fingerbreiten Länge geschnitten wird. Anschließend das Feuer darunter anfachen, bis es gleichmäßig eingedickt ist. Wenn es auf einem sachten Feuer eine Weile ruhig geworden ist, kann es serviert werden.
[Es besteht aus stark geknetetem, ungesäuertem Teig, der wie Riemen geformt, in Wasser gelegt und mit oder ohne Fleisch gekocht wird. Aus dem Minhāj.]“
Überlegungen und Beobachtungen zum mittelalterlichen Rezepttext
- Ich hatte angenommen, dass mir weitere Gewürze und vor allem Zwiebeln stark geschmacklich fehlen würden und war angenehm positiv überrascht. Der Eintopf war erstaunlich aromatisch. Die zugegebenen Kichererbsen und Linsen scheinen eher Geschmacksträger und Konsistenzgeber, da durch die Kochzeit recht zerfallen. Es soll keine dünne Nudelsuppe sein, sondern ein richtig dicker, sämiger Eintopf mit starkem Fleischgeschmack und den (verdammt guten – sorry, Selbstlob muss auch mal sein) Nudeln als den Stars. Bleibt er länger stehen, verschwindet die Flüssigkeit fast gänzlich.
- Ich verwende Chana Cal, geschälte, halbierte Kichererbsen. Korrekter wären wohl ganze, geschälte Kichererbsen, die ich allerdings nicht bekommen konnte. Da sie eh zerkochen, ist es wohl marginal. Wer welche nutzt, sollte allerdings Einweich- und Kochzeit hochsetzen. (Und ja, wir haben hier verschiedene Hände voll mit Kichererbsen gehabt und abgewogen. 😅)
- Im Rezept wird erwähnt, dass eine Zimtstange mit in den Topf soll. Meine Zimtstangen waren allerdings eher schmalbrüstig. Im Vorwort (S. 28) weist der Autor darauf hin, wie dick, stark eingerollt und beißend-duftend die verwendeten Zimtstangen sein sollen. Deswegen wanderten zwei Stück in den Topf – immerhin das einzige Gewürz neben Salz.
- Apropos Salz: Hier wandert am Anfang Salz in den Topf, ich behalte mir vor, die Brühe nochmals nachzusalzen, kurz bevor die Nudeln hineinwandern. Ich verwendete feines Meersalz, der Autor liebt Steinsalz (was wahrscheinlich etwas mit dem Reinheitsgrad zu tun hat). Wer authentisch Steinsalz verwenden möchte, sollte evtl. die Salzmenge ein kleines wenig nach unten korrigieren.
- Nicht lachen, ja ich verwende tatsächlich Entrecôte, da mir Suppenfleisch oder Tafelspitz als zu mager erschienen und ich ein zartes Fleisch wollte. Hat hervorragend geklappt – aber sicherlich könnte eins auch zu einem gut durchwachsenen, günstigeren Fleisch greifen. Vorschläge nehme ich gerne entgegen.
- In der Einleitung (S. 29) erwähnt Al-Baghdadi, dass es grundlegende Technik ist, die Brühe nach dem ersten Aufkochen abzuschäumen – wie wir es ja heutzutage auch noch kennen.
- Dort wird ebenfalls mit Bezug auf dieses Kapitel erwähnt, dass das Fleisch vorher gewaschen und gesalzen werden soll – was ich bei heutigen Hygienestandards nicht für nötig erachte. Das Fleisch sollte auch in Fett angebraten und dann gekocht werden. Tatsächlich geht er so in fast allen in diesem Kapitel erwähnten Eintopfrezepten vor, nur in diesem hier explizit nicht. Ich habe mir darüber etwas den Kopf zerbrochen und mich dann entschieden die Anweisung aus dem Vorwort zu ignorieren und nach dem Rezepttext vorzugehen. Es existieren also im Grunde beide Optionen. Eventuell gehe ich beim nächsten Mal so vor.
- Das Minhāj ist ein medizinisches Werk, das auch Rezepte (so wie damals üblich) beinhaltet. In einer späteren Version des Werkes von Al-Baghdadi wurden Informationen hieraus bei seinen Rezepten ergänzt. In der Übersetzung wurden sie größtenteils herauseditiert und blieben nur vorhanden, wenn sie kulinarischen Bezug hatten – wie hier bei dem Nudelsuppenrezept.
- Ich habe mich für einen Nudelteig mit Eiern entschieden – meinem Verständnis nach ist hier die Gelingsicherheit bei normalem Weizenmehl mehr gegeben. Wer eine eifreie Version mit anderen Mehlsorten starten will – feel free. Das Nudelrezept ist mein persönlicher Interpretationsspielraum im Rahmen der gegebenen Parameter: ohne Triebmittel, stark geknetet, dünn ausgerollt, in 4 Finger breite, schmale Riemchen geschnitten, kann in Wasser oder zusammen mit dem Fleisch gekocht werden.
Wärmender Eintopf für die Lagerküche
Unabhängig von meinem Interesse als Historikerin und der Gaumenfreude: das Gericht eignet sich tatsächlich hervorragend für die Lagerküche und zum Kochen im Kessel auf offenem Feuer oder in Grapen in der Glut. Wer also Reenactment / Living History betreibt, wird hier ein weiteres Rezept finden, das relativ simpel zu kochen, wärmend und sehr gut sättigend ist.
Rezept für Rāshtā – ein dicker Nudeleintopf aus dem Baghdad des 13. Jahrhunderts
(für 4 Personen)
Zutaten für die Rinderbrühe mit Hülsenfrüchten:
600 g Entrecôte
60 g Chana Dal* (geschälte, gespaltene Kichererbsen)
30 g Berglinsen
2,5 TL Meersalz (fein)
2 Zimtstangen
Wasser (700 ml zum Aufsetzen, 1,2 L später für die Nudeln)
Zutaten für die Suppennudeln:
300 g Weizenmehl (Type 405)
3 Eier (M)
2-3 EL Wasser
2 TL Sesamöl
1/2 TL Salz
Zubereitung
- Die Kichererbsen müssen vorab gewaschen werden und dann 2 Stunden in Wasser einweichen.
- Das Entrecôte in Stücke mit 2-3 cm Kantenlänge schneiden.
- Das Fleisch zusammen mit 1,5 TL des Salzes, zweier Zimtstangen, den eingeweichten, abgegossenen Kichererbsen und den gewaschenen Linsen in einen mittelgroßen Topf geben.
- Mit 700 ml Wasser bedecken und zum Kochen bringen, Verunreinigungen mit einem Schöpflöffel abschöpfen. Deckel aufsetzen und für 1,5 Stunden auf kleiner Flamme köcheln lassen. Ab und an umrühren und prüfen, ob die Kichererbsen schon gar und das Fleisch schon mürbe ist.
- Währenddessen den Nudelteig zubereiten: Eier, 2 EL Wasser und Sesamöl in einer Schale miteinander verklempern.
- Mehl mit Salz vermischen, als kleinen Berg auf eine Arbeitsfläche geben und in der Mitte eine Mulde formen.
- Schrittweise die Eimasse hinzugeben und mit einem Löffel, den Fingern oder einer Gabel nach und nach mehr Mehl vom Rand her nach innen einarbeiten, so dass eine Art dicker Breit entsteht.
- Mit den Händen nach und nach das gesamte Mehl einarbeiten.
- Den Nudelteig mit den Händen gut durchwalken, das dauert ca. 10 Minuten. Die Konsistenz sollte am Ende geschmeidig/elastisch, glatt und nicht mehr klebrig sein.
- Troubleshooting:
Ist der Teig zu klebrig: löffelchenweise Mehl einarbeiten.
Ist der Teig zu trocken und krümelig: löffelchenweise Wasser einkneten. - Nach dem Kneten den Teig mit einem Tuch abdecken und für 30 Minuten ruhen lassen.
- Teig in 4 gleichgroße Stücke teilen, jeweils auf bemehlter Arbeitsfläche sehr dünn ausrollen. Währenddessen immer wieder bemehlen und wenden, damit er nicht klebt. Ich habe hierfür ein konisches Nudelholz* verwendet, das meine Eltern mir mal aus Kurdistan mitgebracht haben. Es ist erfekt für dünne Teigfladen/Fladenbrote und ähnelt sehr französischen Teigrollern.
- Die großen, hauchdünnen Teigfladen nochmals für 15 Minuten auf frischen Küchenhandtüchern ruhen und trocknen lassen.
- Einen Fladen Nudelteig nehmen und in lange, ca. 8 cm breite Streifen teilen. Bei mir waren das Fladen 3 Stück. Diese aufeinanderlegen, in der Mitte teilen, eine Hälfte bei Seite legen. von der anderen Hälfte ca. 2-3 Milimeter breite und 8 cm lange „Riemchen“ herunterschneiden. Zwischendurch immer wieder innehalten und die Nudeln mit den Fingern vorsichtig teilen und durch die Finger aufs Brett „rieseln“ lassen und mit etwas Mehl bestäuben, damit sie nicht verkleben. So für den gesamten restlichen Teig weiter arbeiten. Ich hatte am Ende 4 Haufen/Nudelnester. Nochmals Ruhezeit von 10-15 Minuten.
- 1,2 Liter Wasser zur fertig gekochten Rinderbrühe hinzu geben, restliches Salz hinzufügen, wallend aufkochen lassen und nach und nach die handgeschnittenen Nudeln hineingeben. Immer wieder zwischendrin umrühren, damit sie in der dicken Brühe nicht verklumpen.
- Für 3-4 Minuten kochen lassen. Wenn sie gar sind, vom Feuer ziehen, nochmals 10 Minuten quellen lassen, dann servieren.
Und weil es gerade so schön passt, reiche ich das Gericht noch ganz schnell (und mal wieder super kurz und knapp vor Schluss – inzwischen hat es ja fast schon Tradition) zu Zorras Kochtopf-Blogevent ein. Das Thema in diesem Monat sind Eintopf-Gerichte – alles aus einem Topf – und die Gastgeberin ist Sabine von „Einfach Kochen und mehr„.
*Werbung. Afiliate-Links zu Amazon. Bei einem Kauf hierüber erhalte ich eine Vergütung.
Literatur:
Scents and Flavours: A Syrian Cookbook*, Perry, Charles (Übersetzer), New York University Press, New York 2020, ISBN: 978-1479800810
A Baghdad Cookery Book*, Perry, Charles (Übersetzer), Prospect Books, Croydon 2005, ISBN: 978-1903018422
Medieval Arab Cookery*. Essays and Translations by Maxime Rodinson, A.j. Arberry & Charles Perry, Prospect Books, Trowbridge 2006, ISBN: 978-0907325918
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Liebe Shermin,
vielen Dank für dieses interessante Rezept aus Baghdad des 13. Jahrhundert. Es ergänzt die im Rahmen des Blogevents zum Thema Eintopf vorgestellten Rezepte ganz vorzüglich. Die Kombination von Rindfleisch mit Kichererbsen und selbstgemachten Nudeln sowie Zimt und Salz als Hauptgewürze ist sehr reizvoll.
Herzliche Grüße
Sabine
Das ist ja total interessant! Da der Eintopf ja ein Weilchen kochen muss könntest du doch Gulaschfleisch nehmen, von der Wade oder so was. Der Eintopf sieht wirklich köstlich aus. Danke fürs Mitmachen.
@zorra – Ups, total übersehen zu antworten. Tatsächlich war Gulaschfleisch mein erster Gedanke, da das Rezept aber von fettem Fleisch spricht, war mir das nicht durchwachsen genug. 😊