Ich schreibe ja seit über zehn Jahren regelmäßig Rezension für ein Printmagazin. Da kommen mit allerlei Bücher unter – Gute und.. mh.. naja.. manchmal weniger Gute. 😉 Aber dieses schöne Werk namens Wunderbarer Winter* von Emma Mitchell (im Original: Making Winter) wollte ich euch unbedingt auch noch hier vorstellen, weil ich mich in diesem Mix aus Handwerklichem und leckeren Dingen einfach selbst so wiederfinde.
Mit Handarbeiten gegen den Winterblues
Die mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf im ländlichen England lebende Emma Mitchell ist keine Freundin der dunklen, farblosen und kalten Jahreszeit. Nach zwei rasch aufeinanderfolgenden Schicksalsschlägen entwickelte sie in der Winterzeit Depressionen und Angstzustände. In diesem Interview im Guardian spricht sie ausführlich über ihre Ängste und darüber und wie sie es schaffte diese in Schach zu halten. Das mag für viele ein etwas ungewöhnlicher Weg sein (viel andere wiederum werden instinktiv ähnliche Pfade gegangen sein), denn neben Standard- oder Lichttherapien kämpft Mitchell unter anderem mit Kreativarbeiten gegen ihre Depressionen und Angstzustände an. Im Laufe der Jahre stellte sie fest, dass das schöpferische Herstellen mit den eigenen Händen ihr in besonders trübsamen Phasen Kraft und Lebensfreude verlieh. Und dies ist der Grund, warum dieses Buch das Licht der Welt erblickte: Um anderen Menschen, mit ähnlichen psychischen Problemen, praktisches Werkzeug an die Hand zu reichen. Quasi kreatives Anarbeiten und gemütliches Genießen von köstlichen Dingen gegen depressive Verstimmungen und Winterblues.
Dass Handarbeiten – wenn sie nicht gerade in der Kindergartenbastelhölle unter Zeitdruck stattfinden – sehr entspannend und meditativ sind, muss nur den Leuten erklärt werden, die selbst (noch) nicht basteln, malen, spinnen, stricken, häkeln, sticken, gegen schwarze Wolken im Kopf mit Hefeteig ankneten oder mit Schokoplätzchen gegen das dunkle Loch, das sie zu verschlingen droht, anbacken. Mitchell sieht ihr Buch als kreativen Survival-Guide gegen die für manche eben schwer zu bewältigende, graue, alle Farben verschlingende Winterzeit. Die Waffen, die sie ihren Leser/innen hierfür an die Hand gibt, sind bunte Wollknäule und leuchtende Stoffe, goldene Herbstblätter, wunderbare und mannigfaltige Crafting-Projekte und leckere Rezepte.
Bastelanleitungen & Rezepte #makingwinter
Mitchell schreibt aus ihrem Herzen heraus und holt sich mit ihrem Bekenntnis zur Sehnsucht, sich zur kalten Jahreszeit nur noch einzuigeln und Kekse in sich reinzustopfen, sicher einige Sympathien (bei mir jedenfalls auf jeden Fall…), erklärt aber den therapeutischen Nutzen von Ausflügen in die Außenwelt. Ihre Anleitungen und Rezepte sind zudem gut geschrieben und oft mit Fotografien Schritt für Schritt begleitet.
Für einige Dinge benötigt man zwar besondere Produkte, die erst besorgt werden müssen – aber vieles lässt sich bei aufmerksamen Spaziergängen der Natur, dem Park in der Großstadt oder dem eigenen Garten entnehmen oder ist im Haushalt vorhanden.
Hier finden sich zum Beispiel Anleitungen dafür wie man ganz einfach bunte Blätter oder Blüten mit einer Lösung aus Glyzerin* konserviert (sehr cool – auf diese Weise kann man übrigens auch ganze Rosenblüten oder Sommerblumen konservieren), für diverse schöne Häkelprojekte (für Häkelanfänger*innen gibt es die Grundstiche als englischsprachige Anleitung auf ihrer Homepage), echte Silberanhänger (Aus Silberknete* – ich wusste gar nicht, dass so etwas existiert! Das – leider relativ teure – Zeug ist direkt auf meine persönliche Weihnachtswunschliste gewandert.), wie man ein Naturtagebuch anlegt, Kränze windet, Meisenknödel selbst macht, sich im Zeichnen übt oder hübsche Ketten herstellt. An Rezepten zum selbst verwöhnen und verschenken gibt es beispielsweise Schlehen-Gin, schokoladigen Tassenkuchen oder Apfel-Karamell-Schnecken – zusammen mit der Empfehlung das zusammen mit Freunden zu genießen.
Für die Fotos habe ich mir einen Vormittag gegönnt, Kaffee gekocht, mir selbst eine frisch gebackene aus dem Tiefkühler befreite Waffel auf meinem selbstgetöpferten Geschirr kredenzt, Sachen in der Außenwelt gesammelt und kleine Schätze aus unserem letzten Familienurlaub zusammengetragen und zu Collagen gelegt, wie man sie auch auf dem Instagram-Account von Emma Mitchell sieht. Blätter von Ahorn, Linde und Hasel, eine olle Glasmurmel, Muscheln vom Ostseestrand, Kirschzweige, die ich mir zum Bau von Handspindeln beiseite gelegt habe, und die letzten Blaubeeren und ein paar Chilis vom Balkon fügten sich hier zusammen. Als ich zwischendrin alles los auf einem Teller zusammenkramte, sah selbst das gut aus und zierte dann die nächsten Tage als Jahreszeitenteller unseren Tisch. Selbiges mit meinen Anfang November (ja, so lange hab ich die draußen stehen) geernteten Chilis, die eine schöne Tischdeko abgaben, bevor sie zu Chilisauce eingekocht wurden.
Und da ich eh schon alles an Steinchen und Muschelchen draußen liegen hatte, habe ich das Zeitfenster auch direkt dafür genutzt, eine mit unseren Urlaubsfotos bedruckte Postkarte und Sammelgut vom Strand in einem Schwebebilderrahmen* zu arrangieren und so ein greifbares Erinnerungsstückchen zu schaffen. Das war lange geplant und so kam ich endlich mal dazu.
Selfcare – Pass auf dich auf!
Etwas anstrengend ist, dass einen auch hier das trendige Label „hyggelig“ direkt auf dem Cover anguckt. Denn es geht nicht nur um das Klischee der skandinavischen Gemütlichkeit, es geht darum mit Kreativprojekten gegen Zeiten anzukämpfen, in denen die Depression einem schon um die Füße schwappt und droht zur großen Welle anzuwachsen, die einen verschluckt. Es geht natürlich auch um Gemütlichkeit und Geborgenheit, die man sich selbst gönnt und schenkt – aber mehr unter dem Label Selfcare als oberflächlichem Genuss. Und es kommt dem entgegen, was ich nach meiner Schwangerschaft für mich selbst erkannt habe, und was ich mir in Momenten, in denen ich wieder drohe mich komplett aufzureiben wie ein Mantra innerlich aufsage: „Achte auf dich. Sorge dich. Kümmere dich. Erlaube dir, dir etwas zu gönnen.“ Es wird in den seltensten Fällen jemand kommen, der diese Zeit (und oftmals sind es ja nur kostbare 5 Minuten oder so) für dich einfordert. (Ja, ich weiß – Erwachsensein ist manchmal anstrengend. ;))
Aber unabhängig davon, ob einem die dunklen Monate jetzt besonders psychisch angreifen oder nicht: Wunderbare Winterzeit ist ein sehr schönes und liebevoll erstelltes Buch, das schöpferische Herzen höher schlagen lässt. Bestimmt macht es sich auch gut als Geschenk unter dem Tannenbaum.
Wer mehr von ihren Projekten sehen will, kann ihr auf Instagram unter dem Handle @silverpebble2 folgen. Hier nahm auch alles seinen Anfang, unter dem Hashtag #makingwinter postete sie 2015 Bilder von ihrem Anarbeiten gegen den winterlichen Schwermut und rief andere auf, dies ebenso zu tun. Der Instagram-Account lag in den letzten Monaten etwas brach, was daran liegt, dass Anfang Januar in England ihr neues Buch „The Wild Remedy„* erscheint; Dieses soll wohl tagebuchartig über ihr Jahr berichten und sich, angereichert mit ihren Zeichnungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, noch intensiver auf den Zusammenhang von Depression und Naturerfahrungen konzentrieren. Wer aktuellere Einblicke in das Leben, Denken und Wirken von Emma Mitchell möchte, findet sie auf Twitter unter dem Handle @silverpebble.
Emma Mitchell
Wunderbarer Winter*
Kösel Verlag, 2018
ISBN: 978-3466347094
128 Seiten, 18 Euro
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